Alles ist Kunst, alles ist (Verkaufs-)Politik

Unter dem Titel Translocation – Transformation widmet sich der chinesische Kunst-Superstar Ai Weiwei in den Museen 21er Haus und Belvedere den brennendsten Themen unserer Zeit: Vertreibung, Flucht, Veränderung und Assimilation.

Unter dem Titel Translocation – Transformation widmet sich der chinesische Kunst-Superstar Ai Weiwei in den Museen 21er Haus und Belvedere den brennendsten Themen unserer Zeit: Vertreibung, Flucht, Veränderung und Assimilation. Ai Weiwei ist ein wahrer Publikumsmagnet: Der Ansturm bei „Translocation -Transformation“, der ersten Einzelschau des erfolgreichen Konzept- und Aktionskünstlers in Österreich, die mit Raum- und Zeitwechseln einhergehende Wandlungsprozesse hinterfragt, ist so groß, dass das 21er Haus seine Pforten an sechs statt bisher fünf Tagen pro Woche geöffnet hält.
ai weiwei Von seinen Fans wird Ai Weiwei nicht zuletzt auch wegen seines sozialpolitischen Engagements geschätzt: Nach dem Erdbeben in Sichuan (2008), bei dem u.a. 5.385 Schüler/innen in einem Substandard-Schulkomplex ums Leben kamen, eine vonseiten der Regierung totgeschwiegene Katastrophe, ließ er die Namen der verunglückten Kinder akribisch recherchieren und veröffentlichen. Als Dank wurde er 2011 wegen angeblichen Steuerhinterzugs für fast drei Monate unter Hausarrest gestellt und mit einem Ausreiseverbot belegt. Mittlerweile lebt der 59-Jährige in Berlin, wo er die Migrationskrise zu seinem Arbeitsschwerpunkt gemacht hat. Denn aufgrund seiner Biografie fühle er sich wie ein „geborener Flüchtling“, wie er einem extra angereisten ARD-Reporter bei der Eröffnung seiner Wiener Schau verriet: Als Sohn des verfemten Dichters Ai Qing in Peking geboren, wurde die Familie bald darauf in die entlegensten Arbeitslager des Landes abgeschoben. Doch Ai Weiweis Aktionen zu seinem aktuellen Lieblingsthema finden nicht nur Beifall: Als er sich etwa in der Pose des tot an der türkischen Küste angeschwemmten dreijährigen Ailan Kurdi aus Kobane ablichten ließ, stieß er dafür sowohl bei Social Media Usern als auch bei der Presse auf Unverständnis. Von geschmacklos und zynisch bis hin zu plattem Kalkül lauteten die Urteile. Der Künstler reagierte auf diese Vorwürfe mit Zen-Gelassenheit: Würde er keine Ablehnung erfahren, lässt er seine Kritiker/innen wissen, müsste er an seinem Schaffen zweifeln. Wer sich von Ai Weiweis Kunst selbst ein Bild machen will, hat bis 20. November Gelegenheit, sich unter die Massen Gleichgesinnter zu mischen. Der Andrang im Belvedere ist aber nicht ihm allein geschuldet: Das barocke Prachtschloss lockt nicht zuletzt mit seiner Sammlung der Moderne, in der man u.a. Gustav Klimts Gemälde „Der Kuss“ bewundern kann. In dieses prunkvolle Umfeld fügen sich Ai Weiweis beim Stiegenaufgang zwischen Hochparterre und erstem Stock befestigten Installationsobjekte jedoch so geschmeidig als wäre es ihr angestammtes Terrain: Wie federleicht schweben die überlebensgroß aus weißer Seide und Bambus gefertigten, der chinesischen Mythologie entlehnten Fabelwesen - eine Drachengestalt namens „Lu“, ein fünfköpfiger Vogel und eine Fischfigur mit Krallenfüßen - an der Decke . Für Begeisterung sorgen auch die rund um das Wasserbassin des Oberen Belvedere positionierten Tierhäupter aus Bronze, die das chinesische Horoskop darstellen. In ihrem Originalzustand mit Rumpf und Gliedmaßen ausgestattet, befanden sich die Figuren ursprünglich auf einer Wasseruhr im Garten des kaiserlichen Sommerpalasts Yuanming Yuan in Peking. Während des Zweiten Opiumkriegs (1856-1860) wurden sie von englischen und französischen Truppen entwendet und die Wasseruhr in Schutt und Asche gelegt. Nur fünf der gestohlenen Objekte gingen, allerdings als bloße Büsten, an die Volksrepublik zurück. Als Anspielung auf diesen unverfrorenen Vandalismus ließ Ai Weiwei seine mehrere hundert Kilo schweren Nachbildungen auf ca. drei Meter hohen Stangen aufspießen. Die angedeutete Brutalität ist dem Gros der Betrachter/innen aber nicht bewusst oder wird bewusst ignoriert: Fröhlich grinsend stellen sie sich neben die Zeichen des Zodiak und lassen sich fotografieren - „aber bitte mit Schlosskulisse“. Auf den ersten Blick eher unspektakulär wirkt das medial zurecht kritisch rezipierte Werk „F-Lotus“. Für die im Wasserbecken vor dem Belvedere platzierte Installation wurden 1005 von Flüchtlingen getragene Schwimmwesten zu 201 Scheiben umgearbeitet und in Form eines F arrangiert. Sie sollen Lotusblüten, in China Ausdruck für Reinheit und Perfektion, darstellen. Der Buchstabe F ist ein vom Künstler oft verwendetes Motiv dessen Interpretationsspielraum, wie er bei Presseterminen gerne erklärt, von „Fake“ über „Freedom“ bis „Fuck“ reicht. Mit unverhohlener Provokation statt subtiler Raffinesse scheint Ai Weiwei hier primär auf Steigerung seines ohnehin schon exorbitanten Marktwertes abzuzielen. Zurzeit hat er, wie er in Wien wissen ließ, acht Ausstellungen parallel in Arbeit. Nur wenige Gehminuten vom Oberen Belvedere entfernt befindet sich der zweite Schauplatz der Ausstellung, das 21er Haus. Seine Hauptattraktion ist eine origninalgetreu rekonstruierte chinesische Ahnenhalle aus dem späten 16. Jahrhundert. Ehemaliger Eigentümer dieses tempelgleich anmutenden Holzpavillons, der einst mit Bildern und Statuen der Vorfahren bestückt wurde, war die Familie Wang, eine Teehändler-Dynastie aus dem südchinesischen Jiangxi. Im Zuge von Maos Landreform wurde sie jedoch von ihrem Besitz vertrieben. Ai Weiwei rettete das historische Gebäude vor dem Verfall, indem er es kaufte und ihm nun als temporär verortetes Wander-Ausstellungsobjekt eine neue Identität und Hochblüte zukommen lässt. Beim Wiederaufbau in Wien mussten aus Platzmangel allerdings einige Quadratmeter an Material eingespart werden, die fein säuberlich daneben zur Installation drapiert sind. Mangelhaft bis nicht vorhanden für die satten 18 Euro Regulärpreis für ein Kombiticket 21er Haus/Belvedere sind hingegen Informationstexte zum Gezeigten und zum Künstler. Kommunikationsfreudige können aber gegen Voranmeldung kostenlos an den zweistündigen freitäglichen „Tea Talks“ teilnehmen. Bei diesen Nachmittagsveranstaltungen werden Menschen mit und ohne Migrationshintergrund dazu ermuntert, eine gemeinsame Runde durch die Ausstellung zu machen. Danach tauscht man sich, gemäß des von Ai Weiwei seiner Schau vorangestellten Mottos „alles ist Kunst, alles ist Politik“, beim Genuss des traditionell mit Samowar zubereiteten Aufgussgetränkes über individuelle themenbezogene Erfahrungen, Wünsche und Hoffnungen aus. –mh STARTSEITE >

Infobox

Die Austellung läuft bis 20. November.
www.21erhaus.at
www.belvedere.at