Wiener Schulgeschichten

Tafelkratzer, Tintenpatzer ist der Titel einer derzeit laufenden Ausstellung in der Wienbibliothek, die sich rund 300 Jahren Schulgeschichte widmet.

Schule
„Erste Klasse: Tafelkratzer, zweite Klasse: Tintenpatzer...“ – so beginnt ein traditionelles österreichisches Volksschülergedicht. Um die Volksschulzeit, die damit verbundenen Rituale, Traditionen und sich verändernden pädagogischen Leitlinien geht es in der Ausstellung in der Wienbibliothek. Schule an und für sich gab es ja bereits lange bevor Maria Theresia 1774 die „Allgemeine Schulordnung“ erließ. Lange Zeit stand das Grundschulwesen in Österreich unter kirchlicher Aufsicht. Bereits seit den Karolingern gab es in Österreich Kloster-, Dom und Pfarrschulen. Mit dem Übergang des Schulwesens in die staatliche Hand änderten sich auch die Bildungsziele: nicht mehr die Ausbildung von Klerikern stand im Vordergrund, sondern die Schaffung tauglicher und leistungsfähiger Staatsbürger und Beamten. Die Untertanen sollten dazu die drei Kulturtechniken des Lesens, Schreibens und Rechnens erlernen. Mit der allgemeinen Schulpflicht beginnt auch eine Tradition heimischer Schulbücher und Lesefibeln, die das ambivalente Bild der Primarschulbildung nachzeichnen: Die in der Wienbibliothek ausgestellten Schulbücher reichen von der Barockzeit bis zur Gegenwart. Vom Josephinisch-Erzherzöglichen ABC aus dem Jahr 1744 über die wunderschön bebilderte „kleine ABC Schule für Knaben und Mädchen“ aus dem Jahr 1845 bis zu „Wiener Kinder“ – eine Fibel, die 1923 nach der Schulreform des Pädagogen Otto Glöckels erstellt wurde. Die Schulreform von 1919 und ihre Weiterentwicklung im Roten Wien ist ein besonderes Ereignis der Wiener Schulgeschichte. Mit ihr sollte ein neuer Mensch geschaffen werden, der durch Bildung zu freiem Denken und Handeln gelangen kann. Otto Glöckel als damaliger Leiter des Wiener Stadtschulrates wollte einen dem demokratischen Staat entsprechenden Bürger erziehen und gleiche Bildungschancen für alle schaffen. Dazu gehörte auch eine neue Pädagogik – weg vom autoritären Erziehungsstil, hin zu Selbstverwaltung, Eigenverantwortung und Individualpsychologie. Das alles war spätestens ab 1934 dann wieder Schnee von gestern. „Wir lernen lesen“ hieß das Schulbuch im Nationalsozialismus. Es handelte von Heini, der „Heil Hitler“ ruft und gerne in der Gegend herummarschiert. Detaillierter ging es dann im Buch „Der Giftpilz. Ein Stürmerbuch für Jung und Alt“ zur Sache. Hier lernten die kleinen alles über die NS-Rassenideologie. Bis 10. November ist die Ausstellung noch in der Wien Bibliothek zu sehen. Neben der politischen Geschichte der Bildung gibt es auch viele scheinbar triviale Details aus dem Alltag der Wiener Schuldkinder zu sehen. Etwa das Zeugnis vom kleinen Franz Grillparzer oder das Tagebuch der Ida Qualtinger, das von der Volksschulzeit des damals noch übereifrigen Sohnes Helmut Qualtinger in den 1930er Jahren handelt. Kaum zu glauben, aber schriftlich festgehalten ist etwa folgende Notiz aus dem zweiten Schuljahr: „Am 3. Tag des Abends umarmt er freudig Vaterl: so gern geh ich in die Schule, so sehr freue ich mich auf morgen!“ –hr STARTSEITE >

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4. Mai bis 11. November 2016
Werktags Montag bis Donnerstag 9 bis 18.30 Uhr, Freitag 9 bis 16.30 Uhr
Verkürzte Öffnungszeiten von 1. bis 19. August 2016: Montag bis Freitag 9 bis 15 Uhr
Ausstellungskabinett der Wienbibliothek im Rathaus
Rathaus, Stiege 6, 1. Stock, 1010 Wien
Eintritt frei!